Der typische Bootswahnsinn
- Carola Schmid
- 27. Juni 2024
- 7 Min. Lesezeit
Traumhafte türkisfarbene Lagunen, bezaubernde Städtchen, tolle Restaurants mit frischem Fisch direkt am Meer, stets eintauchen in neue Kulturen und währenddessen den Sand zwischen den Zehen spüren und sollte es zu warm werden einfach kurz ins Mittelmeer springen und abkühlen. Dazu immer eine Portion Sonnenschein die angenehmen 8 - 15 Knoten Segelwind und dieser am Besten Halbwind bis Raumschots (Wind von hinten). So stellt man sich das Leben auf dem Segelboot vor und so ist es tatsächlich. Oder wohl teilweise. Zumindest ab und zu. Doch zwischendurch schleicht sich der ganz alltägliche und gemeine Bootswahnsinn ein.
Wie denn ein solcher Alltag auf dem Boot ausschaut, was es alles zu berücksichtigen gibt und auf was man achten muss, dass man sich nicht plötzlich noch in Gefahr bringt oder es doch etwas ungemütlicher wird schreibe ich (nicht wie üblich Carola, sondern Pascal) euch heute in diesem Beitrag mal kurz auf. Wie kauft man ein, was bringt so ein Segelschiff an Unterhaltsarbeiten mit sich? Wie oft kann man wirklich planen wann man wo ist und wie oft trifft dies auch tatsächlich zu? Wie ist es überhaupt mit so einem Zwerg an Bord und was fällt sonst noch alles so in einem alltäglichen Bootswahnsinn an?

Attention Danger ahead.
Nachdem Öms und Öps uns in Malta wieder verlassen haben und die Heimreise antraten, ging es für uns ganz gemächlich weiter. Der Plan war sich etwas in den Buchten von Malta Zeit zu lassen, zu sonnen und mit Kiano das Land zu erkunden. Ich wollte die Unterwasserwelt und die Höhlen etwas besser kennen lernen und für Carola war es an der Zeit die Seele baumeln lassen, denn mit so einem "Conejo Atomico" an Bord wird es einem nie langweilig. Da ist "Nichts-Tun" ein Fremdwort. Als wir dann nach drei Tagen in einer Bucht nördlich von Malta gerade dabei waren so richtig anzukommen, wollten wir gerne noch einige weitere Nächte hier verbringen.

Hier etwas entspannen und geniessen...

...das war der Plan.
Unsere Alegre dachte sich: "Nicht mit mir". Nachdem tagsüber nicht soviel Sonne schien, wollten wir die Batterien mit dem Alternator (Lichtmaschine am Dieselmotor) aufladen, denn die Solaranlage hatte an diesem bedeckten Tag nicht genug geliefert. Als der Motor gestartet wurde leuchtete ein rotes Licht "Battery Charger" auf. Was meistens nichts Gutes heisst. Nach erster Fehlersuche mussten wir feststellen, dass der Alternator wohl defekt ist.

Unser Alternator hat wohl den Geist aufgegeben.
Da die Batterien nicht zu tief entladen werden dürfen, weil sie dann Schaden nehmen, mussten wir also unsere Pläne streichen und machten uns ausserplanmässig auf den Weg zurück in den Hafen von Malta. Zum Glück konnte man uns hier schnell helfen. Ein orstansässiger Elektriker konnte ein defektes Kabel im Alternator ausmachen, welches ersetzt wurde und so schnurrte er wieder brav vor sich hin und erfüllt nun seine Aufgabe die Batterien aufzuladen wieder.

Ein so kleines Kabel kann ganz schnell zu neuen Plänen führen.
Nun direkt weiter in die nächste Bucht zu segeln wäre das Naheliegendste doch das Wetter machte uns einen Strich durch die Rechnung und aus einer geplanten Übernachtung in der Marina wurden Mehrere. Denn nicht alleine wir entscheiden wann und wo wir hinsegeln sondern noch vielmehr der Wind und das Wetter. So sind es bei uns nicht die Nachrichten oder die täglichen News die wir lesen, sondern die Wetter- und Windvorhersage, die wir täglich studieren.

Wind und Wetter führen oft dazu die Pläne zu ändern. Ein Plan ist auch mal dazu da über Bord geworfen zu werden.

Langfristige Planung. Wo werden wir anlanden, welche Untiefen gibt es da. Was für Ausweichmöglichkeiten haben wir.

Wir nutzen Predict Wind und Windy für die Windvorhersagen. Spezifisch das Vorhersagemodel von ECMWF.

Navionics nutzen wir zur Routenplanung. Wie lange dauerts und wo müssen wir auf Untiefen oder Fish Havens sowie Wracks und verbotene Gebiete oder Naturschutzgebiete achten.

Navily hilft uns die nächste Marina oder Ankerbucht zu finden. Die Auswahl ist nicht gerade gering, was es oft nicht einfacher macht.
Erstes Problem abgehackt und vom Wetter dazu gezwungen noch weitere Nächte zu buchen, konnten wir zumindest den Aufenthalt in der Stadt direkt nutzen und unseren Essenvorrat wieder aufstocken, den Ship Chandler besuchen und für Alegre das Notwendigste einkaufen sowie die Wäsche waschen zu lassen. Drei Dinge die jedesmal wieder abenteuerlich sind. Wie kommt man am Besten zum nächstgelegenen Supermarkt mit Dinghy oder doch mit dem SUP einkaufen gehen?
Vollbepackt auf dem Rückweg vom Supermarkt.
Oder sind wir gar im Hafen und können den Bollerwagen auspacken?
So ein Einkauf ist immer wieder ein Erlebnis und eine Herausforderung für sich.

Der Bollerwagen ist gut gefüllt und Kiano sicher in der Tragi.
Wo findet man eine Wäscherei? Gibt es jemand der direkt wäscht und trocknet oder hat man ein Self Service Salon? Wo kriegt man genügend Münzstücke her und hat es auch ein Trockner oder wird anschliessend das Boot als Wäscheständer missbraucht? Es ist nichts mit bequem die Wäsche mal zuhause in die Maschine zu werfen, denn eine solche haben wir mangels Strom und Wasser an Bord nicht zur Verfügung. Es ist auch nichts mit mal schnell ins Auto zu steigen und sich im bekannten Supermarkt um die Ecke fast schon blind durch die Regale bewegen zu können und die bekannten und beliebten Produkte in den Einkaufskorb zu legen. Es ist fast wie jede Woche neu umzuziehen und sich jede Woche von Neuem zu fragen: Wo wasche ich? Wo kaufe ich ein? Wo trinke ich den Kaffee? Wo gibt es die nächste Tankstelle fürs Boot und wo finde ich zwischendurch auch mal wieder Landstrom und frisches Wasser, um die Batterien voll zu laden und den Wassertank zu füllen. Ach ja und hoffentlich haben wir noch genügend Windeln an Bord bis wir den nächsten Supermarkt mit Windeln gefunden haben, den ansonsten wird es schnell mal muffig unter Deck.

Kiano deckt sich mit frischen Windeln ein.
Doch genau dies macht es zwar nicht wirklich einfach doch auch umso spannender und erlebnisreicher. Genau dies wollen wir ja auch. Jedoch muss man sich auch bewusst sein, Leben auf dem Boot heisst nicht nur in der azurfarbenen Lagune zu schwimmen und den selbstgefangenen Fisch auf den Grill zu legen, welcher übrigens leider immer noch auf sich warten lässt.

Bisher hat leider nur Plastik angebissen. Das Mittelmeer schein leider leer gefischt zu sein.
Nein vielmehr heisst es, jeden Tag von neuem Herausforderungen anzunehmen sich mit neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen, Probleme zu lösen, Sachen zu reparieren oder zumindest versuchen zu reparieren. Wobei Improvisation stets gross geschrieben wird.
Zudem haben wir uns auch noch dazu entschieden dieses Abenteuer mit einem kleinen Energiebündel an Bord zu erleben. Welcher nicht wirklich selbstständig ist, ok gar nicht selbstständig, sich jedoch mittlerweile bereits in einem Höllentempo durchs Boot bewegt und so ziemlich nichts mehr sicher vor ihm und seinem Erkundungsdrang ist.
Das Boot zu putzen wird somit schnell mal zur Herausforderung.
Er will bespasst werden und schreit auch gerne mal lauthals umher, wenn im etwas nicht passt und doch gibt er einem sooo viel zurück, dies kann man gar nicht in Worte fassen. Argumente greifen jedoch nicht, wenn Kiano nun mal keine Sonnenbrille anziehen oder keinen Sonnenhut aufhaben möchte, dann zieht er sich diese so oft vom Kopf, dass uns die Argumente ausgehen und wir ihm dann einfach schreiend eine grosse Portion Sonnencreme ins Gesicht kleistern. Problem vorübergehend gelöst.
Mittlerweile isst der Kleine auch schon so einiges an Nahrung. Wir haben uns von Anfang an dazu entschieden keinen Brei zu geben sondern direkt mit fester Nahrung zu starten. Karottensticks und Süsskartoffeln weichgekocht oder auch mal eine Gurke, Wassermelone oder Kiwi, mit Liebe gekochte Bananenpancakes oder eine Reiswaffel gehören mittlerweile zu seinem alltäglichen Schmaus. Da für Babys ein strukturierter Ablauf wichtig sei, versuchen wir dies so gut es geht im alltäglichen Bootschaos einzuhalten und auch mittags zusammen mit ihm zu essen. Wenn wir jedoch mal 40-50 Meilen zurücklegen müssen, sei es wegen dem Wetter oder keiner gut gelegenen verfügbaren Ankerbucht in näherer Umgebung, so führt dies schon auch mal dazu, dass die Karottensticks oder liebevollen Banananepancakes bei 30 Grad Krängung, 1.5 Meter Wellengang und 8 Knoten Fahrt am Wind zubereitet werden müssen, um anschliessend dem kleinen Sonnenschein den Schmaus vorzulegen, wovon dann die Hälfte in ihm und die andere Hälfte um ihn landet. Anschliessend darf dann alles wieder geputzt werden, Kiano inklusive. Da kommt es schon auch mal vor, dass man sich fragt, was machen wir hier eigentlich? Wer kam auf diese saublöde Idee mit einem Baby auf einem Segelboot durchs Mittelmeer zu segeln.
Doch sobald wir müde und erschöpft an einem weiteren Ankerplatz ankommen, der Anker fest sitz, die Ankerkontrolle erfolgreich war und die Ankeruhr gesetzt ist, wir uns dann alle in die Augen schauen und uns darauf freuen diesen neuen Ort zu erkunden, dieses Paradies entdecken zu dürfen und das mit der Freiheit selbst zu entscheiden wo wann und wie lange sind alle Strapazen vergessen.
Anker abtauchen und Ankeruhr für den Schwojkreis setzen. Mittlerweile tägliche Routine.
So ein Paradies wird mit den Hindernissen die man auf dem Weg hierher überwunden hat nur noch paradiesischer.

Alegre als einziges Boot in Südsizilien vor Anker.

Auf Entdeckungsreise. Hier der Tempel von Apollo.
Wir haben unser erstes Chameleon in freier Natur gesichtet.

Ohne Worte

...
Ein spezielles Leben definitiv nicht ein Leben für Jeden oder Jede, definitiv noch Nerven strapazierender mit einem kleinen "Conejo Atomico" an Bord. Jedoch ein Leben voller Abenteuer und genau ein Leben für uns "nicht ganz normale" Familie.

Der verrückte Professor.

Ich war das nicht...
Achja, mittlerweile sind wir wieder in Sizilien in eben so einer türkisfarbenen Bucht vor Anker und haben gerade mit dem SUP auf den ägadischen Inseln eingekauft.

Carola kommt vom Einkauf auf Favignana zurück.
Die Solaranlage produziert täglich genügend Strom, mit dem Wasser gehen wir extrem sorgsam um und so haben wir das letzte mal in Malta vor über zwei Wochen Landstrom gehabt. Der Fisch hat zwar immer noch nicht angebissen, aber wir kommen dem autarken, unabhängigen und freien Leben auf dem Segelboot in grossen Schritten näher. In den letzten 2 Wochen haben wir lediglich 2 Nächte in einer Marina verbracht, der Rest war kostenfrei und unsere Alegre hat uns mit Windkraft über 200 Seemeilen weiter in den Norden gebracht und so ist unser Dieseltank auch noch fast randvoll, welchen wir letztes Mal in Malta gefüllt haben.
Nächste Woche empfangen wir unsere nächsten Gäste an Bord. Kiano's Götti Chris und seine Freundin Elena kommen uns besuchen und segeln mit uns nach Sardinien. Wir freuen uns. Jetzt aber erstmals Laptop zu und ab ins türkisfarbene Wasser.
Bis dahin "Servus und Tschüss".




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